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3 MINUTEN MIT ZBINDEN

Kapitel 29

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Kurt Held: „Giuseppe und Maria“

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Zweiter Weltkrieg. Im September 1943 gelang den Alliierten südlich von Salerno die Landung in Italien. Hier beginnt der Roman “Giuseppe und Maria“ von Kurt Kläber alias Kurt Held (1897-1959): „Es war am 15. September 1943. Über die weite Ebene zwischen Agropoli und Salerno zog ein milchiger Nebel. Er kam in kleinen Schwaden vom Meer herüber. Bald lag er auch über dem kleinen Haus in der Nähe von Paestum, in dem unsere Geschichte beginnt.“ (1)

 

„1951 schickte Kläber seinem Verleger Hans R. Sauerländer das Konzept zu einem umfangreichen Romanwerk für Jugendliche, dem vierbändigen Epos «Giuseppe und Maria».“ (2, S.53) Dieser habe zuerst ablehnend geantwortet, „da man «heute nicht mehr gerne von diesen Kriegszeiten hört».“ (ebenda) Das Buch erschien erstmals 1955.

 

2

 

In einem Bombardement verliert Giuseppe seine Eltern. Die sterbende Mutter rät ihm, eine Tante in Neapel aufzusuchen. In dieser Tragik stossen amerikanische Soldaten auf ihn: Jim, Napoleone, Nakausaki, Cesare und Michael, Vertreter des weiten Spektrums des multikulturellen Erbes der USA. Sie nehmen sich Giuseppe an. Der Afroamerikaner Napoleone sagt: „Ja, von heute an sind wir deine Beschützer und Freunde.“

 

Auf seiner Odyssee von Paestum nach Rom begegnet Giuseppe in Neapel Ulisse mit seinem Esel Justus und seinem Affen Adam und der ebenfalls verwaisten Maria. Sie erleben Kriegshandlungen, Überfälle, Krankheit, Armut, Hunger, Tod, Prügeleien, Raubzüge, falsche Anschuldigungen, Übertölpelungen, Schmuggel, Flucht und Verfolgung. Immer wieder ergeben sich aber auch hilfreiche Begegnungen, nicht zuletzt mit der Gruppe amerikanischer Soldaten.

 

Giuseppe gerät in eine Kinderstadt, in der die Kinder vom Leiterpaar zu Überfällen und Diebstahl angeleitet werden. Er bewahrt Haltung und übersteht eine Periode falscher Anschuldigungen. Er bekommt, verteidigt durch Diogene, einen Anwalt der Armen, Recht. Danach beteiligt er sich am Aufbau einer Kinderstadt, die nicht von Diebstahl, sondern von Arbeit lebt.

 

3

 

„Die Inspiration zu dieser Saga um «Giuseppe und Maria» erhielt der Autor auf seinen häufigen Reisen durch das Süditalien der Nachkriegsjahre. In Neapel waren zahllose der Kriegswaisen gestrandet und dort mangels staatlicher Fürsorge zu «Sciuscia» geworden - was man als «Stiefelputzer» übersetzen und als Strassenkind verstehen kann.“ (2, S.53)

 

In Neapel beobachtete Kläber auch „ein kleines Mädchen (…), welches mit einem Affen auf einem bekannten neapolitanischen Fischmarkt tanzte, während ein etwas älterer Bub hinter ihr stand, ihr Begleiter zu sein schien und auch das Geld einsammelte“, schreibt Lisa Tetzner in den Erinnerungen an ihren Lebenspartner Kurt Kläber. (2, S.80)

 

4

 

Auch Emil Zbinden bereiste die Gegend südlich von Rom und zeichnete unentwegt für die Illustration dieses Buches. Vor uns liegt die Ausgabe von 1981. (1)

Wir zählen 49 Federzeichnungen,

31 ganzseitige, 15 halbseitige

und drei Vignetten.  

 

5

 

Die letzte Zeichnung zeigt einen Olivenzweig, Symbol der Hoffnung. Wer denkt da nicht an Noahs Taube? (4)

Und vielleicht an die Kriegsschauplätze der heutigen Welt.

 

Die Militärbaracken der zweiten Kinderstadt mögen den Leser an die dreizehn 1946 vom Schweizerischen Arbeiterhilfswerk (SAH) gelieferten Baracken erinnern, die im zerbombten Rimini das Fundament des „Centro Educativo Italo-Svizzero“ (CEIS) bildeten, das von der sozialistischen Zürcher Pädagogin Margrit Zöbeli/Margherita Zoebeli (1912-1996) geleitet wurde. Das CEIS besteht heute noch, und die Baracken sind noch immer in Gebrauch.

 

6

 

Susanne Koppe schreibt: „Das vierbändige Werk «Giuseppe und Maria» zählt zu einem der frühesten und engagiertesten Versuche in der Jugendliteratur, die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs aus der Sicht der betroffenen Kinder darzustellen. Kurt Helds Absicht, die Schrecken dieser Zeit realistisch, aber dem kindlichen Vorstellungsvermögen angemessen zu verarbeiten und zudem Kindern einzugestehen, dass die «allmächtigen Erwachsenen» keineswegs immer auf das Wohl der Kinder bedacht sind, sondern deren Leid durchaus auch kalt und egoistisch ignorieren, war ein ganz neuer und zur Veröffentlichungszeit 1955 alles andere als ein für die Jugendliteratur passend empfundener Ansatz.“ (5, S.407)

 

pst

 

 

Literatur:

 

(1)

Kurt Held, Giuseppe und Maria.

Gekürzte Fassung von Hansjörg Schmitthenner

Lizenzausgabe für die Büchergilde Gutenberg,

Frankfurt am Main und Wien

mit Genehmigung des Verlags Sauerländer,

Aarau und Frankfurt am Main 1981

Copyright © 1955 Text, Illustrationen und Ausstattung

623 Seiten

Das Buch besteht aus vier Bänden:

Die Reise nach Neapel

Von Schmugglern, Zöllnern und Soldaten

Die Kinderstadt

Der Prozess

 

(2)

Susanne Koppe. Kurt Kläber - Kurt Held: Biographie der Widersprüche?

Zum 100. Geburtstag des Autors der «Roten Zora»

Aarau, Frankfurt am Main, Salzburg

(Verlag Sauerländer), 1997

 

(3)

Lisa Tetzner-Kläber. Das war Kurt Held,

40 Jahre Leben mit ihm.

Sauerländer Aarau, Sonderausgabe

für die Büchergilde Gutenberg.

Aarau 1961

 

(4)

Genesis, 8.11

 

(5)

Nachwort von Susanne Koppe in:

Kurt Held, Giuseppe und Maria.

Die Kinderstadt

C. Bertelsmann Verlag, Taschenbuchverlag

für Kinder und Jugendliche

München 1997

Nachlassbetreuung und Copyright der Werke:

 

Katharina Zbinden-Bärtschi und Samuel Zbinden, Eigerstrasse 60, CH-3007 Bern

sam_zb@bluewin.ch

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Letzte Aktualisierung: Oktober 2025

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